Geschenke

Es ist Heiligabend, einige Leute versuchen noch schnell ein Geschenk zu ergattern, um sich dann aus überfüllten Innenstädten schnell in friedliche Weihnachtsstimmung zu begeben.

Vor kurzem wurde das Ergebnis einer soziologischen Studie veröffentlicht, die zeigt, wie wichtig es doch ist, sich etwas zu schenken. Der ganze Stress ums Schenken kommt mir schon manchmal etwas übertrieben vor und häufig will man wohl sein Gegenüber mit einem Geschenk nur gnädig stimmen. Dennoch ist all dies offenbar wichtig für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Über Menschen, die niemandem etwas schenken, denkt man schnell: „Der/ Die gönnt mir nichts, mit der Person will ich nichts zu tun haben.“

Ich habe, wie wohl fast jeder andere Mensch unseres Kulturkreises auch, das Problem, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich denn zum Beispiel meinen Geschwistern schenken soll. Irgendetwas finde ich dann doch und auch für mich bedeutet das vorher leider, mich durch völlig verstopfte Fußgängerzonen zu quetschen, alles in der Hoffnung, da bald wieder raus zu sein und im Idealfall auch noch für jeden gleich ein Geschenk gefunden zu haben.

Am schlimmsten sind für mich Weihnachtsmärkte, die ich aufgrund der Menschenmassen und vielen Geräusche am liebsten meide. Doch sollte es in der Weihnachtszeit nicht eigentlich besinnlich und voller Vorfreude zugehen, anstatt stressig und hektisch?

Warum tue ich mir den Stress eigentlich an, nur um Geschenke zu finden? Weil ich damit anderen eine Freude machen kann und wann wäre das passender als an einem Tag, an dem wir den Geburtstag von Gottes Sohn feiern?

Ich wünsche allen Lesern des Blogs einen besinnlichen Heiligen Abend.

Ein Fehler, der korrigiert werden muss?

Das Thema ABA ist ja unter uns Bloggern mit Autismus momentan in aller Munde, besonders bei Innerwelt und Quergedachtes die sich sogar die Mühe gemacht haben, sich in einer Gesprächsrunde den Vertretern dieser sogenannten „evidenzbasierten Verhaltenstherapie“ zu stellen.

Jene ABA-Verfechter kommen gerne mit positiven Erfahrungsberichten der Eltern von autistischen Kindern, welche diese Therapie mitgemacht haben (oder durchmachen mussten). Umso erfreuter war ich, als ich mir die Kommentare eines Medienartikels durchlas, dessen Autorin offenbar viel von ABA hält. Aber zunächst zu dem Artikel selbst.

Er kommt vom Schweizer Rundfunk (SRF) und ist, so weit ich das sehen konnte, Teil einer Sendereihe über Frühkindlichen Autismus. Als erstes werden die wahrgenommenen Defizite von Kindern mit Frühkindlichem Autismus aufgeführt (sie können nicht sprechen, wollen keinen Kontakt mit anderen Menschen, sind aggressiv…).

Natürlich gibt es für die besorgten und verzweifelten Eltern auch eine Lösung, hier nennt sie sich „Frühförderung durch Verhaltenstherapie“, was ja erst mal gar nicht schlecht klingt. Doch es dürfte wohl gewollt sein, dass man nicht gleich ABA dahinter erkennt.

Am Ende des Artikels steht es dann im kursiv Gedruckten:

Es handelt sich um eine frühe verhaltenstherapeutische Intervention (FIVTI), basierend auf der angewandten Verhaltensanalyse («Applied Behavior Analysis»).

Natürlich musste gleich noch hinzu, dass die Behandlungserfolge „belegt“ sind.

Meine Frustration legte sich jedoch schnell wieder, als ich die Kommentare las, die ersten zwei geschrieben von Müttern, die über ihre Kinder mit Frühkindlichem/ Asperger-Autismus berichteten und dabei so gar nicht zu den gegenüber ABA sonst so positiven Erfahrungsberichten mancher Eltern passen. Die beiden schreiben, dass ihre Kinder Fortschritte machten, als sie so angenommen wurden, wie sie waren bzw. sie für ihr Kind gekämpft haben. Das zu lesen hat mich wirklich ermutigt.

Auch die übrigen Kommentatoren entlarven das, was in diesem Artikel als harmlose Frühförderung dargestellt wird, als ABA und scheuen sich nicht, zu schreiben, was diese Art der Therapie mit Kindern macht.

Ich wünschte, die ABA-Therapeuten, die meinen, Autismus wäre ein Fehler, der korrigiert werden muss, würden sich jene Kommentare mal durchlesen, um diese andere Sichtweise auch mal von Eltern zu hören.

Schublade „Autismus“

Es ist irgendwie eine unendliche Geschichte mit den Medien. In diesem Artikel prangt es bereits in der Überschrift: „Autismus“. Weiter geht es dann komischerweise so:

Es gibt in diesem Beruf Konstanten. Manche davon schätzt man, wie etwa die Pizza mittags in der Kantine, weil diese von allen dort angebotenen Gerichten am wenigsten der oft irrlichternden Kreativität der hier tätigen Speisenzubereiter unterworfen ist.

Hä? Bezug zur Überschrift? Gleich null! Oder ist Autismus jetzt ein Beruf? Für einen solchen bräuchte ich wohl keine Ausbildung mehr, oder? Aber genug des Sarkasmus.

Ich dachte mir, vielleicht steht ja auch etwas Sinnvolles zu dem Thema drin, aber nichts da! Der Artikel hat rein gar nichts mit Autismus zu tun. Der Begriff kommt im Text obendrein nur einmal vor:

[…] es geht um etwas anderes. Um eine bestimmte Form von Autismus.

Im folgenden wird dann beschrieben, dass in sechs verschiedenen (ich glaube Münchener) Theatern am gleichen Tag Premieren/ ein Gastspiel stattfinden soll. Diese Häufung von Theatervorstellungen, ob nun gewollt oder nicht, wird vom Autor als egoistisches Verhalten skizziert. Und das soll nun also „Autismus“ sein? Das hatten wir doch schon einmal.

Man kann mir so manches vorwerfen, auch, dass ich die Bedürfnisse anderer manchmal nicht von selbst erkenne, aber ein Egoist bin ich ganz sicher nicht! Da hat sich der Autor Egbert Tholl einfach nur auf Kosten eines kleinen Teils der menschlichen Bevölkerung einen halbwegs schlagkräftig klingenden Artikel zusammengezimmert und ist damit leider in die Fußstapfen einiger Artikelschreiber vor ihm getreten.

Wenn jemand in der Vergangenheit Chancen auf die Inklusion von Autisten zunichte gemacht hat, dann waren es meist die Medien, indem die Autismus-Spektrum-Störungen für reißerische Artikel missbraucht worden oder beispielsweise einem Amokläufer vorschnell Autismus angedichtet wurde. So etwas muss endlich aufhören!

Als Autist in der Gesellschaft: Selbstverständlichkeiten

Ein jeder hat sie, doch kaum einer kann auf Anhieb sagen, was seine Selbstverständlichkeiten sind. Es sind die ungeschriebenen Gesetzte, die in einer homogenen Gesellschaft funktionieren würden, in unserer heterogenen Realität aber auch hinderlich sein können, wenn es um das Zusammenleben mit anderen geht.

Jeder von uns hat seine ganz individuellen Selbstverständlichkeiten, ob sie nun durch Erlebnisse, Erziehung oder andere Dinge geprägt worden sind. Meine Selbstverständlichkeiten sind wohl Ehrlichkeit, Loyalität, Pünktlichkeit, Respekt und das Einhalten von Gesetzen und Regeln. Ich habe aber im Laufe meines Lebens gemerkt, dass ich meine eigenen Maßstäbe, so logisch sie auch sein mögen, nicht auf andere Menschen anwenden kann, da bei meinem Gegenüber die Prioritäten schon wieder ganz woanders liegen können, so wie das auch bei unterschiedlichen Geschmäckern der Fall ist.

Wozu brauchen wir überhaupt Selbstverständlichkeiten? Unser menschliches Gehirn verarbeitet Eindrücke so, dass sie quasi in verschiedene Schubladen einsortiert werden (das Extrem davon ist das sogenannte „Schubladendenken“). Diese Schubladen brauchen natürlich eine Beschriftung und ein System, damit wir die aufgenommenen Inhalte auch wiederfinden können, also unsere individuellen Selbstverständlichkeiten.

Problematisch wird es da, wo Menschen versuchen, ihre Maßstäbe an andere anzulegen, frei nach dem Motto: „Wenn ich das kann, muss der das doch auch können.“ – eine gefährliche Illusion, die schnell zu Vorurteilen führt.

Ich selbst muss mich gerade ein bisschen von einer Selbstverständlichkeit verabschieden. In sieben Jahren Lateinunterricht habe ich gelernt, dass man zum Beispiel Caesar, anders als in den Köpfen der meisten Deutschen, nicht wie Zesar, sondern wie Kähsar ausspricht, auch wenn das ziemlich nach Käse klingt ;). Nun muss ich in meiner Ausbildung feststellen, dass die Aussprache der an die lateinische Sprache angelehnten botanischen Pflanzennamen wieder völlig anders und dass Botanisch eigentlich auch gar kein Latein ist.

Es gibt auch Selbstverständlichkeiten, die von den meisten Leuten hierzulande als gemeingültig angesehen werden, so zum Beispiel die ständige Erreichbarkeit. Ich muss gestehen, ich besitze nicht mal ein Smartphone, mein zehn Jahre altes Siemens-Mobiltelefon ist meistens ausgeschaltet und ich bin auch in keinem sozialen Netzwerk. Bei der Erreichbarkeit würde ich also schon mal durchs Raster fallen.

Auch dass die meisten Leute moderne Musik (welche Art auch immer) mögen, ist eine solche Selbstverständlichkeit geworden. Was höre ich gerade? Orchestersuite in h-Moll von Johann Sebastian Bach – und wieder durchs Raster gefallen.

Über was ich aber immer wieder stolpere, ist die Selbstverständlichkeit, dass man normal zur Kommunikation, insbesondere dem Telefonieren fähig ist. Versucht man seinem Gegenüber zu erklären, dass man dort Schwierigkeiten hat oder sogar angstbehaftet ist, stößt man oft auf wenig Verständnis. Es kommen dann Sätze wie: „Nun hab dich doch nicht so!“ oder „Andere können das doch auch.“, doch ich kann das eben nicht ohne große Überwindung.

Auch das „Zwischen den Zeilen lesen“ ist eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht weiter nachdenkt, wenn man sie denn beherrscht, uns Autisten kann das jedoch auf die Füße fallen, ich merke das besonders bei Arbeitsanweisungen. Es wird dann davon ausgegangen, dass der Angewiesene richtig verstanden hat, was gemeint ist, doch plötzlich wundert sich der Arbeitsanleiter, warum der Angestellte etwas ganz anderes macht. Ich bin des „Zwischen den Zeilen lesens“ nicht mächtig und brauche dementsprechend auch sehr konkrete Arbeitsanweisungen, damit ich genau weiß, was ich machen soll und nicht etwas ganz anderes verstehe.

Selbstverständlichkeiten sind etwas völlig Natürliches und „Selbstverständliches“ ;), aber jeder sollte sich bewusst machen, dass seine Maßstäbe nicht für andere auch gelten müssen. Wichtig ist, dass man erst mal weiß, was denn eigentlich die eigenen Selbstverständlichkeiten sind.

Als Autist in der Gesellschaft: Freundschaft

Als nächstes in der Themenreihe: das Thema Freundschaft.

Ich kann von mir selber sagen, wahrscheinlich noch nie so wirklich erfahren zu haben, was Freundschaft mit Menschen eigentlich bedeutet. In meiner Schulzeit gab es außer Mobbing auch Leute, mit denen ich mich gut verstanden habe. Das war es, was ich damals unter Freundschaft verstanden habe. Ich bekam natürlich mit, dass andere aus meiner Klasse sich regelmäßig verabredeten und viel miteinander unternahmen, doch irgendwie fehlte mir der Zugang dazu, noch wäre es für mich eine Überforderung gewesen, mich so oft mit anderen Leuten zu treffen, warum wusste ich damals noch nicht. Jemanden so nah an mich heranzulassen würde bei mir auch bedeuten, dass ich der Person gegenüber ziemlich sozial unbeholfen wäre, gerade bei sehr emotionalen Menschen.

Heute meine ich etwas besser zu wissen, was Freundschaft bedeutet. Man unternimmt nicht nur etwas miteinander (vorausgesetzt die räumliche Nähe ist auch gegeben), man kann miteinander auch über alles reden und zusammen lachen, verbirgt seine Gefühle nicht voreinander, gibt einander auch konstruktive Kritik und ist dem oder der anderen vor allem treu und loyal. Die letzteren beiden Punkte und das wären für mich kein Problem, ansonsten hätte ich bei dem meisten so meine Schwierigkeiten.

Es scheint wohl als wäre ich nicht wirklich für Freundschaft geschaffen, aber ich vermisse es auch nicht, was natürlich nicht heißt, dass ich mich nicht freuen würde, wenn sich so etwas doch mal entwickeln sollte.

In der Gesellschaft hört man immer wieder den Begriff „falsche Freunde“. Das ist leider ein sehr reales Phänomen und da wir Autisten häufig etwas naiver sind als andere Menschen, können wir umso schneller in etwas reingeraten. Unter „falschen Freunden“ versteht man Leute, die vorgeben jemandes Freund zu sein, aber eigentlich nur im Sinn haben, die Person auszunutzen oder gar auszubeuten. Oftmals erkennt man solche Menschen leider erst hinterher, wenn es zu spät ist, indem sie sich in schlechten Zeiten von einem abwenden. Ein wahrer Freund trägt dich auch durch die schweren Kapitel deines Lebens. Ganz exemplarisch ist da in der Bibel natürlich der Psalm 23:

„[…] Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir […].“

Ich kann wissen, wenn mich die ganze Welt im Stich lässt, Gott wird es nicht. Für mich ist er ein wahrer Freund. Auch wenn nie einen Menschen als Freund haben sollte, ich habe meinen Vater im Himmel.

Aber zurück zu den falschen Freunden. Wie erkennt man einen wahren Freund? Er oder sie wird sich für dich Zeit nehmen und auch Schwächen von sich selbst preisgeben. Das würde ein falscher Freund wohl kaum machen.

Wie ist es eigentlich, einen Autisten als Freund zu haben? Geht das überhaupt? Ich würde behaupten: Ja! Sicherlich würde er nicht viel über seine Gefühle sprechen, da ihm da ein bisschen der Zugang fehlt, sondern stattdessen sehr rational bleiben, auch mit dem getröstet werden wäre es schwierig, aber man hätte einen sehr treuen und loyalen Menschen zum Freund, der einen nicht ohne einen triftigen Grund im Stich lassen würde.

Als Autist in der Gesellschaft: Loyalität

Es ist mal wieder Zeit für eine Themenreihe, diesmal soll es um das Leben als Autist in der Gesellschaft gehen. Den Anfang macht das Thema „Loyalität“.

Uns Autisten sagt man ja des öfteren nach, wir seien egoistisch und hätten nichts übrig für die Belange, Sorgen und Nöte anderer Menschen. Ich muss gestehen, dass ich oft nicht sehe, was mein Gegenüber gerade braucht und bei Gefühlsausbrüchen anderer manchmal etwas hilflos daneben stehe und nicht so recht weiß, was ich nun eigentlich tun soll. Doch würde sich ein Egoist über so etwas überhaupt Gedanken machen? Er würde wahrscheinlich weitergehen und sich denken: „Ist mir doch egal!“

Was ich jedoch bei mir selbst erlebe und auch bei anderen Asperger-Autisten beobachten konnte, dass Loyalität anderen und vor allem Autoritätspersonen gegenüber einen hohen Stellenwert hat. Zum Beispiel verhalte ich mich Lehrern gegenüber loyal, weil ich sie auch als Autoritätsperson ansehe.

Das kam bei meinen Mitschülern nicht immer gut an, bei manchen Lehrern ironischerweise auch nicht. Während meine Klassenkameraden manchmal das Gefühl hatten, ich würde mich bei meinem Physiklehrer der Noten wegen einschleimen wollen, als ich ihm regelmäßig beim Abbauen der Geräte half, kamen (und kommen, wie ich in meiner ersten Berufsschulwoche merken konnte) manche Lehrer offenbar nicht gut damit zurecht, dass ich mich übermäßig mündlich beteiligte, nicht nur um meine oft nur mäßigen schriftlichen Leistungen auszugleichen, sondern auch, um den Unterricht voranzubringen. In der Berufsschule höre ich nun öfter so etwas wie: „Johannes, lass doch die anderen auch mal ran.“ Das ist leichter gesagt als getan. Ich muss also, wenn ich etwas zum Unterricht beizutragen habe, es ab und zu vermeiden, mich zu melden, aber gleichzeitig darauf achten, mich nicht zu wenig zu melden und trotzdem den Unterricht voranzubringen. Aber was tut man nicht alles für das Wohl anderer.

Es wäre mir auch nie eingefallen es meinen Mitschülern gleichzutun, als sie nur wenig Respekt gegenüber der durchsetzungsschwachen Englischreferendarin in der zehnten Klasse zeigten. Sie mag sich nicht so gefühlt haben, aber sie hatte für mich dennoch die Position einer Autoritätsperson. Dennoch gibt es Lehrer, die offenbar mir gegenüber misstrauisch waren, weil ich eben nicht das typisch pubertäre, rebellische Verhalten, wie es in dem Alter „normal“ gewesen wäre, an den Tag legte.

Meine Loyalität anderen gegenüber äußert sich auch in Form von Verlässlichkeit. Sich einfach krank zu melden, um sich einen freien Tag zu machen war und bleibt für mich immer ausgeschlossen und wenn ich nicht zu Schul- oder Arbeitsbeginn anwesend war, musste irgendetwas mit mir passiert sein. Für mich ist Pünktlichkeit immer selbstverständlich gewesen, für so manch anderen leider nicht. Ich habe mich aber auch nur selten getraut, die zu spät kommenden Personen explizit darauf anzusprechen, das wäre für mich einfach zu unhöflich und bloßstellend gewesen.

Vielleicht bin ich ja nur zu sehr in der ostdeutschen Mentalität verwurzelt, aber ich denke, mein Asperger hat doch eine Menge damit zu tun.

Eine Reise zwischen Panik, Humor und Gelassenheit

Ich fahre ja eigentlich gerne Zug, doch diese Fahrt werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Man könnte auf ein solches Erlebnis mit Empörung zurückblicken, doch ich komme einfach nur ins Schmunzeln, auch wenn ich froh sein konnte, irgendwie wieder zuhause angekommen zu sein.

Es hätte bis auf den Schienenersatzverkehr zwischen Zeitz und Wetterzeube eine ruhige und entspannte Zugfahrt werden sollen, mit ein bisschen Zeit zum Komponieren. Doch es wurde das Unwort des Tages: „Fahrdienstleiter!“

Eben dieser Geraer Fahrdienstleiter hatte sich, so die Durchsage unseres in Bad Köstritz stehenden Zuges, krank gemeldet, was bedeutete, dass nun erstmal kein Zug nach Gera ein oder aus fahren kann und wir erst mal in Bad Köstritz festsitzen würden. Viele Fahrgäste griffen bereits besorgt zu ihrem Mobiltelefon, ein Kind fing bereits an zu weinen.

Und ich? Ich hätte eigentlich in Panik geraten sollen. Mit dem letzten Zug wäre ich um kurz nach 20 Uhr nach Plauen gekommen, doch es stand in den Sternen, ob der noch zu erreichen gewesen wäre. Doch ich konnte im Moment nicht viel machen, also schob ich die Frage, ob und wie ich nach Hause kommen sollte erstmal beiseite nahm das Ganze mit Humor und komponierte ein bisschen, eine Suite schreibt sich ja nicht von allein zuende.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde ging es überraschend wieder zurück nach Wetterzeube, um die Fahrgäste des nächsten Schienenersatzverkehrs aufzunehmen, um dann auch wieder nur bis Bad Köstritz zu kommen, also hin und her. Von dort sollte ein Bus bis nach Gera fahren hieß es nach einer Weile, also alle raus aus dem Zug, der daraufhin leer wieder nach Wetterzeube zurück fuhr. Doch kein Bus kam und irgendwann war gleiche Zug mit dem gleichen Sitzplatz wieder da und es ging endlich nach Gera Hauptbahnhof.

Von allen Zügen, die um diese Zeit überhaupt noch fuhren, ging der nächste in meine Richtung kurz um 23:06 nach Greiz. Ich hatte also viel Zeit, den Geraer Bahnhof kennenzulernen, bis mein Anschlusszug dann planmäßig fuhr.

Ich hatte mich schon darauf eingestellt, einen Teil der Strecke mit dem Fahrrad fahren zu müssen, so war es dann auch mit den letzten 25 Kilometern von Greiz nach Plauen, und zwar im Dunkeln und im Regen. Ich war aber froh, überhaupt mein Fahrrad mitgenommen zu haben, denn gelaufen wäre ich die Strecke wohl nicht so gerne. Um viertel zwei war ich dann endlich wieder zuhause und insgesamt fast 7½ Stunden unterwegs, obwohl ich planmäßig nur 2½ gebraucht hätte.

Aber wie habe ich es geschafft, nicht in Panik zu geraten, obwohl es zwischenzeitlich so aussah, als würde ich erst am nächsten Morgen oder Vormittag wieder in Plauen sein? Ich sah, dass sich die Situation vorerst meiner Kontrolle entzogen hatte und ich nichts weiter tun konnte, als abzuwarten, also wäre Panik doch sinnlos gewesen, oder? Es klingt irgendwie zu einfach aber in der Situation war es das irgendwie. Normalerweise können mich unvorhergesehene Ereignisse sehr durcheinanderbringen, aber ich scheine als Autist auch das Talent zu haben, einfach einen kühlen Kopf zu bewahren und rational zu sein.

Therapie bei Autismus?

Ein Thema, das gerade wieder sehr aktuell ist, Therapie bei Autismus. Wissenschaftler, Betroffene, Angehörige und Vereine sind da zum Teil sehr unterschiedlicher Meinung, soll man uns Autisten so lassen wie wir sind, soll man versuchen, uns Hilfen für ein besseres Zurechtkommen im Alltag mitzugeben, soll man bestimmte Verhaltensweisen wegtherapieren oder gar Medikamente verabreichen?

Es wäre natürlich eine höchst subjektive Aussage, hier von einem „Richtig“ und einem „Falsch“ zu sprechen, jedoch lässt sich schon herausfinden, welche der Methoden langfristig den größtmöglichen Erfolg für alle Beteiligten bringen.

Einige der wichtigsten Therapieformen will ich sogleich vorstellen:

ABA

ABA steht für „Applied Behaviour Analysis“ und ist eine vor allem bei autistischen Kindern angewandte Therapieform, die in den 1960er Jahren von Ivar Lovaas begründet wurde. Sie wird insbesondere von den meisten Autisten sehr kritisch gesehen, während es für Autismus Deutschland und nahestehende Organisationen scheinbar die einzig funktionierende Therapieform darstellt, wohl des schnellen Erfolges wegen. Dabei geht es darum, Verhaltensweisen, die aus Sicht der neurologisch-typischen Menschen störend und überflüssig sind, durch Zwang und mithilfe des Musters Sanktion und Lohn zu tilgen. ABA wird sowohl durch Therapeuten, als auch nach Anleitung jener durch die Eltern selbst durchgeführt. Da eine Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Kindes quasi nicht stattfindet und stattdessen versucht wird, seinen Willen völlig zu brechen, kommt es in vielen Fällen im Jugend- oder Erwachsenenalter zu posttraumatischen Belastungsstörungen, die denen von Missbrauchsopfern oft ähnlich sind.

TEACCH

TEACCH ist die Abkürzung für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children“ und kommt wie ABA aus den Vereinigten Staaten. Hinter dieser sehr umfassenden Therapieform verbergen sich verschiedene Möglichkeiten zur Förderung autistischer Kinder. Ob Unterstützung bei bestimmten Einschränkungen, die im Schulalltag zutage treten oder gezieltes und individuelles Training, es ist so einiges dabei. Das Ziel war damals, als 1972 mit einem Forschungsprojekt der Grundstein für TEACCH gelegt wurde, den bis dahin geltenden Vorwurf, die Eltern hätten durch schlechte Erziehzung oder mangelnde Zuneigung „Schuld“ am Autismus ihrer Kinder. Eingesetzt werden zum Beispiel Methoden wie Visualisierungen und Strukturierung des Alltages. TEACCH wird in Deutschland vor allem im schulischen Kontext eingesetzt.

Soziales Kompetenztraining

Von Sozialem Kompetenztraining kann ich aus erster Hand berichten. Dabei handelt es sich um eine Form der Psychotherapie, bei der es quasi darum geht, Stärken zu nutzen und mit Schwächen umgehen zu lernen. Soziales Kompetenztraining beinhaltet nicht nur Gesprächstherapie an sich, sondern auch gezielte Förderung in Bereichen, die mit Einschränkungen und Problemen verbunden sind (zum Beispiel Kontaktaufnahme, Telefonieren, Umgang mit Mitmenschen oder sich selbst und andere verstehen lernen), es ist aber nicht nur trockene Therapie, sondern vor allem „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wie bei den meisten Therapieformen, muss einem Sozialem Kompetenztraining eine offizielle Diagnose vorausgehen, damit die Therapiestunden auch von der Krankenkasse bewilligt werden können.

Medikamentöse Behandlung

Da es sich bei Autismus nicht um eine Krankheit handelt und auch nicht „heilbar“ ist, ist eine Verabreichung von Medikamenten überflüssig bzw. fahrlässig, es sei denn, die Medikation dient zur Kurierung/ Linderung anderer Krankheiten oder Störungen, die zusätzlich auftreten können. Allerdings wird momentan geforscht, ob eine Verabreichung des Hormons Oxytocin die sozialen Fähigkeiten von Autisten stärken kann. Insbesondere in den Vereinigten Staaten wird immer wieder MMS (Miracle Mineral Supplement) als Heilmittel für verschiedene Krankheiten und auch Autismus propagiert. Dabei handelt es sich jedoch um eine hochgiftige Lösung, deren Inhaltsstoffe in etwa die von Industriebleiche sind. Dementsprechend ist die Verabreichung in Deutschland illegal.

Fazit

Wenn man schnelle äußerliche Erfolge sucht, ist man wohl eher bei ABA richtig, allerdings sollte man sich dann nicht über psychische Langzeitschäden wundern. Verständlicherweise hat sich in den letzten Jahren ein beachtlicher Widerstand von Menschen, die in Blogs über Autismus schreiben, formiert.

TEACCH kann man hingegen als gute Alternative betrachten. Es enthält viele gute Konzepte, die einem autistischem Kind den Schulalltag deutlich erleichtern und das Verständnis von Mitschülern und Lehrern verbessern kann.

Empfehlen kann ich auf jeden Fall ein Soziales Kompetenztraining wenn man als Autist nicht nur sein Leben selbständig gestalten, sondern auch mit anderen Menschen und vor allem sich selbst gut klar kommen will. Das Ganze ist Arbeit und manchmal herausfordernd, aber es lohnt sich.

Ordnung inmitten des Chaos

Als Asperger-Autist hat man es nicht leicht in dieser chaotisch anmutenden Welt der neurologisch-typischen Menschen. Man ist umgeben von Hektik, Unordnung, Unpünktlichkeit und ständig wechselnden Situationen. Aber es gibt Schutzräume und Ruhepole, die eigenen vier Wände. Dort ist es strukturiert, ordentlich, alles hat seinen Platz und es geschieht nichts unerwartetes, solange niemand sonst diesen Lebensbereich betritt.

Natürlich könnte man sich auf einer einsamen, ruhigen Insel verkriechen, aber ist es nicht viel besser, anderen Menschen die Ordnung nahezubringen und ein Stück Ordnung inmitten des Chaos zu schaffen?

Für mich ist es sehr wichtig, in meinen eigenen Lebensräumen eine feste Ordnung zu haben. Das entlastet mich sehr beim Funktionieren im herausfordernden Alltag, in dem es nicht unbedingt diese Struktur und Berechenbarkeit gibt. Deutlich wird das zum Beispiel an meinem Speiseplan, zu dem man in Anklang an „Dinner for one“ sagen könnte: „Same procedure as last week!“ Da für mich das Einkaufen auch eine gewisse Herausforderung bedeutet, bin ich insofern entlastet, dass ich nicht erst überlegen muss, was ich denn heute einkaufe. Entlastung, ein Begriff, der für die meisten Asperger-Autisten zum Alltag gehören dürfte.

Ein Nichtautist braucht sich über solche Dinge gar nicht so viele Gedanken zu machen. Als Autist bekomme ich dann manchmal Sätze zu hören, wie: „Na, übertreib’s mal nicht.“„Sei doch nicht immer so kleinlich!“ oder „Zu ordentlich muss es nun auch nicht sein.“ Ich weiß, eigentlich ist es nicht wichtig, ob die Inhalte des Kühlschranks nun rechtwinklig angeordnet sind oder irgendetwas unbedingt symmetrisch sein muss, für mich ist es das aber. Steht irgendetwas nicht an seinem gewohntem Platz oder ist etwas schief aufgestellt, fällt es mir sofort ins Auge und ich habe erst Ruhe, wenn alles wieder ordentlich ist.

Manch einer würde so etwas vielleicht als krankhaft oder Zwangshandlungen bezeichnen, gerade Letzteres würde jedoch an der Realität etwas vorbeigehen, da ich mich ja nicht zum Ordnung schaffen gezwungen fühle, sondern dies gerne mache. Davon profitieren dann übrigens auch andere, die mir mit Freuden das unliebsame Aufräumen oder das Abwaschen überlassen. Vielleicht gibt es deshalb Asperger-Autisten, damit die Welt nicht völlig im Chaos versinkt. 😉

Asperger und das Alter

Wir Asperger-Autisten werden, wie andere Menschen auch, geboren, wachsen auf, werden alt und sterben. Doch das gefühlte und tatsächliche Alter klafft bei uns häufig weit auseinander – nicht nur in eine Richtung.

Ich bin da selbst ein gutes Beispiel. Gerne bin ich auch mal so albern, dass viele Leute schon genervt sind und wirke da fast wie ein Zwölfjähriger, während ich bei tiefgehenden Gesprächen oder was „neueste Trends“ angeht eher wie ein Fünfundsiebzigjähriger bin, zum Beispiel setze ich lieber auf Bewährtes, mein Laptop ist acht Jahre alt und mein Mobiltelefon sogar zehn.

Eine Zeit lang habe ich regelmäßig, eigentlich um die Stimmung aufzulockern, sämtliche Sketche von Dieter Hallervorden heruntergerattert, dürfte damit aber nicht nur meinen Mitmenschen auf Dauer ziemlich auf die Nerven gegangen sein, sondern auch ziemlich kindisch gewirkt haben.

Ich muss zugeben, dass ich mit Kleinkindern eigentlich noch am besten klar komme, während ich mit pubertierenden Jugendlichen meine größten Probleme habe, das war auch nicht anders, als ich noch selbst in dem Alter war. Wirklich gut unterhalten kann ich mich aber mit Rentnern, also über 60-jährigen.

Welcher junge Erwachsene wurde denn auch schon im Kindergarten „kleiner Professor“ genannt, hört seit der Kindheit ausschließlich klassische Musik oder liest mit großem Interesse Pegauer Heimatblätter? Meine Spezialinteressen passen insgesamt weder zu meinem Alter, noch zu meiner Generation (Komponieren, Stadt- und Verkehrsplanung, Bahnstrecken und Regionalgeographie).

Als ich vor einigen Jahren mein zweiwöchiges Schulpraktikum im Kindergarten des Dorfes absolviert habe, hatten mich die Kinder sofort ins Herz geschlossen, was wohl daran lag, dass ich mich als der „Große“ nicht gescheut habe, mitten unter den „Kleinen“ mitzuspielen.

Die Schulzeit ist bei mir übrigens ein gutes Beispiel, wie wenig ich doch zu Gleichaltrigen (vorausgesetzt es sind keine Autisten) passte. Währende andere meines Alters am Wochenende lieber auf Parties gegangen sind, habe ich stattdessen stillgelegte Bahnstrecken und Gleisanschlussbahnen freigeschnitten.

Dementsprechend bin ich immer mal wieder etwas verärgert, wenn andere Leute mich, ohne wirklich etwas von mir zu wissen, in einen Topf mit (neurotypischen) Gleichaltrigen stecken wollen, denn da gehöre ich so gar nicht rein. Lieber lasse ich mich dann als „weltfremd“ bezeichnen, da kann ich wenigstens sagen: „Da stehe ich dazu!“