Autismus und Studium

Eine Frage, die sich sicher schon manch einer gestellt hat: Kann man mit Autismus studieren?

Ich bin schon mal der lebende Beweis, dass das geht. Ende September des vergangenen Jahres habe ich mein Masterstudium der Landschaftsarchitektur abgeschlossen.

Aber ist das nicht zu anstrengend und stressig? Kann man das als Autist eigentlich durchhalten?

Nun, ich kann sicher nicht für alle autistischen Studenten, von denen es auf jeden Fall welche gibt, sprechen, aber ich bezweifle, dass ich das so einfach hätte durchhalten können – noch dazu in Regelstudienzeit – wenn ich in der Großstadt gewohnt hätte. Ich bin extra für das Studium in ein 500-Einwohner-Dorf gezogen, um mich dem Stress, der Hektik, dem Lärm und den Reizen der Großstadt zu entziehen. Ihr glaubt gar nicht, was für einen Unterschied das macht, wenn man aus der lauten und hektischen Großstadt raus aufs Land kommt, in das Dorf, dass eine einzige 30er-Zone ist, wo dank einer Umgehungsstraße der Durchgangsverkehr ferngehalten wird und die schöne Landschaft mit dem Blick nach Tschechien aus dem Wohnzimmerfenster auf einen wartet.

Ich habe mich von vornherein recht genau an den empfohlenen Stunden- und Semesterablaufplan gehalten. Ich hätte ja auch in einer ganz anderen Reihenfolge studieren können. So – und weil ich mir von vornherein in den Kopf gesetzt habe, in Regelstudienzeit fertig zu werden, weil ich ja auch nicht mehr der jüngste bin und nun bald mal ins Berufsleben starten will – konnte ich aber Probleme mit Modulüberschneidungen vermeiden und hatte so von Semester zu Semester (in vielen Fällen, aber nicht immer) logisch aufeinander aufbauende Seminare und Vorlesungen.

Und wie war das mit Corona?

Ja, irgendwann kam Corona und damit das „digitale Semester“. Man könnte denken, dass eine solch gravierende Plan- und Routinenänderung einen Autisten völlig aus der Bahn wirft.
Ich kenne auch eine Autistin, bei der das der Fall war. Sie hatte während Corona angefangen zu studieren und kam damit ganz und gar nicht klar. Bereits im ersten Semester musste sie ihr Studium abbrechen.
Für mich war das hingegen einfacher. Ich hatte, als die Kontaktbeschränkungen losgingen, bereits drei Semester studiert und mich schon an das Uni-Leben gewöhnt. Das Verbot von Präsenzveranstaltungen in der Anfangszeit bedeutete für mich, dass ich nicht erst nach Dresden fahren musste, sondern alles von Zuhause vom Schreibtisch aus machen konnte. Dadurch, dass ich mir täglich selber Mittagessen gemacht habe, statt in die Mensa zu fahren, konnte ich nicht nur Geld, sondern auch Zeit sparen.
Das ist schon praktisch wenn man während einer Vorlesung kochen und Mittag essen kann.

Nun war mein Studiengang sehr arbeitsintensiv. Insbesondere im Master gab es dann in mehreren Modulen pro Halbjahr große Semesterprojekte. Da mein Gehirn recht langsam arbeitet, blieb mir nichts anderes übrig, als gleich zu Beginn des Semesters, kaum, dass die Aufgabe gestellt ist, sofort so viele Informationen zu sammeln wie möglich und schon viel vorzuarbeiten, um am Ende mit meinen Kommilitonen mithalten und rechtzeitig fertig werden zu können. Die Zeit war im Studium stets mein größter Feind, aber zum Glück konnte ich immer auf Gottes Unterstützung hoffen.

Schließlich habe ich es nach fünf Jahren Regelstudienzeit und einem sehr arbeitsintensiven und stressigen letzten Semester geschafft, mit meiner Masterarbeit rechtzeitig fertig zu werden.
Es war für mich eine Notwendigkeit, mir im Laufe der Jahre ein Gespür anzueignen, wie viel Stress und Zeitdruck ich aushalten kann und wie viel auf einmal ich mir zumuten kann. Ansonsten hätte es nicht nur mit der Masterarbeit, sondern mit dem ganzen Studium nicht funktioniert.

Also an alle autistischen Studenten da draußen: Mein Rat an euch: versucht ein Gespür dafür zu finden, wie viel ihr pro Tag schaffen müsst um rechtzeitig fertig zu werden, versucht nicht auf Biegen und Brechen noch mehr zu schaffen, gönnt euch darüber hinaus Entspannung und verfolgt eure Routinen weiter.
Ich habe während des ganzen Studium weiter täglich Trompete (oder Waldhorn) und Geige geübt, täglich eine halbe Stunde pro Instrument. Das ist einfach meine Routine, die ich mir auch vom Zeitdruck und dem Stress des Studiums nicht habe nehmen lassen. Ohne meine täglichen Routinen hätte ich es wohl auch nicht geschafft.

Haben es Autisten im Studium also prinzipiell schwerer? Ich würde sagen, ja. So ein Campus kann schon sehr unübersichtlich sein, viele neue Leute, die man erst kennenlernen muss, ein Stundenplan kann sich schnell mal ändern und dann kommen noch Stress und Zeitdruck hinzu, von der akustischen Reizüberflutung in der Mensa ganz zu schweigen. Alles in allem eine ziemlich ungünstige Mischung für die meisten Autisten. Aber wenn man sich nicht von seinen täglichen Routinen abbringen lässt, ist ein Studium auf jeden Fall machbar.

Doch was, wenn das Studium, an dessen Abläufe man sich inzwischen gewöhnt hat, dann vorbei ist? Nun das ist ein Kapitel für sich. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die Jobsuche sich schwieriger gestalten und länger hinziehen kann, als man denkt.
Ich habe mein Studium Ende September 2023 abgeschlossen und habe immer noch keine Arbeit gefunden.
Einerseits ist das Problem, dass es manchmal viele Wochen oder sogar Monate dauert, bis man etwas von seiner Bewerbung hört. Dann habe ich aber auch in einem Vertiefungsbereich studiert, in dem es nur wenige Stellen gibt.
Ein Studium abgeschlossen zu haben bedeutet also noch nicht gleich, dass einem die Welt offen steht.

Telefonieren – wird es mit der Zeit leichter?

Telefonieren war für mich noch nie leicht. Nicht, dass ich dazu nicht in der Lage wäre, aber es ist für mich mit Angst verbunden.

Vor Jahren hatte ich bereits einmal über das Thema geschrieben und auch recht ausführlich die Angst und Panik, die ich mit dem Telefonieren verbinde, geschildert.
Nach all diesen Jahren, ist es da für mich leichter geworden, jemanden anzurufen, kommt immer noch ein Gefühl der Angst auf, wenn das Telefon klingelt? Die Antwort: Ja und ja!

Schon vor einigen Jahren wurde mir immer wieder rückgemeldet, dass ich eigentlich gut telefonieren kann und dabei recht souverän wirke, Leute, die mit mir telefoniert haben, bezeichneten das Telefonat nicht selten als ein angenehmes, freundliches Gespräch. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass meine Eigenwahrnehmung dem nicht auch einigermaßen entspricht.

Mit Leuten, die ich sehr gut kenne beziehungsweise mit denen ich öfter telefoniere, fällt es mir inzwischen leichter, zu telefonieren, etwa mit meiner Mutter, meinem Onkel oder meinem Nachbarn. Ungemein hilfreich ist es auch, das meistens die Nummer – und bei eingespeicherten Nummern der Name – bei einem eingehenden Anruf auf dem Display erscheint. Ich weiß also, wenn das Telefon klingelt des öfteren, wer und gegebenenfalls was mich erwartet.

Doch dann kommen notwendige Telefonate, bei denen ich fremde Leute, etwa Sachbearbeiter in irgendeinem Amt anrufen muss. Da ist es ja leider notwendig, erst mal mein Anliegen zu schildern, in der Hoffnung, dass das Gegenüber am anderen Ende versteht, was ich von ihm will.
Vor reichlich neun Jahren, als ich den oben erwähnten Blogbeitrag zum Telefonieren verfasst hatte, war ein solches Szenario noch ein Auslöser für „maximale Panik“.

Auch heute ist es noch so, dass ich so manches anstehende Telefonat durchaus ein paar Tage aufschiebe, doch nicht immer ist das möglich. Manchmal kann ich nur versuchen innerlich auf alle erwartbaren Situationen vorbereitet zu sein, mich ins kalte Wasser stürzen und versuchen, das Gespräch so souverän wie möglich über die Bühne zu bringen.
Hinterher brauche ich dann immer ein paar Minuten, um innerlich wieder etwas herunterzukommen.

Aber ja, inzwischen fällt mir das Telefonieren definitiv leichter als früher. Doch wird jemals die Angst dabei verschwinden? Vermutlich nicht.

Schonungslos ehrlich

Nun sind wieder Semesterferien, also bleibt wieder etwas Zeit für einen Blogbeitrag – über ein Thema, über das wohl fast jeder Autist mal stolpert.

Die meisten Menschen sind so veranlagt, dass bei dem, was sie sagen, meistens noch eine andere Botschaft mitschwingt, die zusätzlich oder eigentlich zum Ausdruck gebracht werden soll. Mit „schönen Worten“ soll dann manchmal eine Botschaft vermittelt werden, die man der Person in der Art und Weise nie direkt sagen würde. Beispiele gefällig?
– „Ein bisschen Bewegung würde dir gut tun.“ – heißt: „Du bist zu fett und faul noch dazu!“
– „Kann ich noch auf einen Kaffee vorbeikommen?“ – heißt: „Ich will mit dir schlafen.“
– „Ich denke, da geht’s lang.“ – heißt: „Wir haben uns verlaufen.“
– „Na ja, ganz nett.“ – heißt: „Das ist sch…“ (sparen wir uns den Rest)

Wir Autisten sind da im Normalfall anders veranlagt.
Wir haben keine Hemmungen, anderen zu sagen, wenn sie
– ein Wort falsch geschrieben haben.
– eine Tatsache falsch dargestellt haben.
– eine unserer Ansicht nach wichtige Tatsache ausgelassen haben.
– schief singen oder ihr Instrument verstimmt ist.
– schmutzige Hände oder Dreck im Gesicht haben.
– unserer Ansicht nach schreckliche Musik hören.
– in ihrem gerade gesprochenen Satz grammatikalische Fehler haben.

Oft kommt das dann beim Gegenüber überheblich, arrogant, besserwisserisch, grob, beleidigend oder verletzend an (was man als Autist meistens nur dann merkt, wenn das Gegenüber eine entsprechende Rückmeldung gibt).
So ist es allerdings nicht gemeint – natürlich kann ich hierbei nur für mich selbst sprechen. Meine Absicht liegt meistens darin, der anderen Person zu helfen, sie auf dem Weg zur Korrektheit zu unterstützen.
In meiner Vorstellung habe ich dann die Analogie, dass andere Menschen, genauso wie ich ein Interesse daran hätten, Perfektion anzustreben – doch zwischen Autisten und Nichtautisten prallen hier oft völlig unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander.

Eine konstruktive Rückmeldung des Gegenübers, dass die typisch autistische Direktheit gerade unangemessen oder verletzend war, ist natürlich am ehesten hilfreich. Doch oft sieht es leider anders aus.
Man (also ein Autist, der gerade mal wieder schonungslos ehrlich war) bekommt eine wütende, auf der Beziehungsebene gesendete Botschaft zurück und ehe man sich versieht, will die andere Person nicht mehr mit einem reden. Man fragt sich dann nur: Was habe ich denn falsch gemacht?
Viel zu oft sind wohl auf diese Weise schon Beziehungen oder Freundschaften auseinander gebrochen.

Aber lassen sich bestimmte Dinge auch diplomatischer formulieren, ohne dass ein Autist wie ich sich verstellen, Fakten verdrehen oder wichtige Dinge auslassen muss?
Manche Botschaften lassen sich einfach nicht anders rüberbringen (Aussagen wie „Ich finde, dass du das Wort falsch geschrieben haben könntest.“ oder „Meiner Meinung nach ist Linz nicht die Hauptstadt von Österreich.“ funktionieren so einfach nicht), aber hilfreich ist es durchaus, bei Dingen, wo es nicht um klare Fakten geht, Ich-Botschaften zu senden, anstatt eigene Ansichten als Fakten darzustellen.
Täte ich jetzt sagen, moderne Musik ist schrecklich, würde das für mich stimmen, aber mein Gegenüber sieht das vielleicht ganz anders. Die Lösung: „Ich finde moderne Musik schrecklich.“ Das lässt dem Anderen noch den Spielraum, seine eigene Meinung dazu auszudrücken und zu vertreten.
Was ich hier als Autist anwende, kann natürlich auch für neurologisch-typische Menschen eine sinnvolle Gesprächsebene sein.

Nicht zuletzt in einer Zeit, in der man sich für bestimmte Ansichten mehr als je zuvor rechtfertigen muss, ist es für mich wichtig, meine Worte sehr genau und mit Bedacht zu wählen. Das mag umständlicher scheinen, als eine absolute Aussage herauszuschreien, vergrault aber weniger Leute im eigenen Umfeld.

Asperger und die Maskenpflicht

Die SARS-CoV-2-Pandemie – noch im Frühjahr hatte ich damit wenig Probleme. Ich konnte noch immer weitgehend meine Routine verfolgen und der digitale Semesterstart hat auch funktioniert.
Dann kam die Maskenpflicht. Beim Einkaufen und in Bussen und Bahnen nun immer einen Mund-Nasen-Schutz tragen zu müssen, das war und ist für mich nur schwer zu ertragen. Nicht unbedingt aufgrund dessen, was ich von den Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung zur Eindämmung des Corona-Virus halte, dieses hierzulande auch „Schnudndeggl“ genannte Stück Stoff behindert mich beim Atmen und ist mir zudem auf der Haut extrem unangenehm.

Viele andere Autisten werden es ebenfalls kennen: das Gefühl, wenn man von jemandem leicht angefasst wird, für mich in etwa, als würde mich ein Stromschlag treffen. So ähnlich, als würde mich jemand anfassen, fühlt sich diese Stoffmaske im Gesicht an, wie ein Fremdkörper, der dort nicht hingehört und extrem unangenehm ist.

Wenn ich aus dem Supermarkt, dem Bus oder der Bahn komme, bin ich froh, wenn ich mir die Maske endlich runterreißen kann und die Atemnot ein Ende hat – und so geht es mir nach vielleicht einer Viertelstunde. Grausam sind unter dem Gesichtspunkt lange Zugfahrten, etwa im Fernverkehr. Ich greife da immer sehr häufig zur Trinkflasche, um den Mund-Nasen-Schutz wenigstens kurz runternehmen zu können.

Doch eigentlich räumt die Sächsische Coronaschutz-Verordnung mir als Inhaber eines Schwerbehindertenausweises eine Befreiung von der Maskenpflicht ein. Warum trage ich den „Schudndeggl“ dann eigentlich immer noch? An dieser Stelle möchte ich gerne den Erfahrungsbericht einer Autistin zitieren:

Seit Einführung der Maskenpflicht erlebt Monika den sonst geliebten Einkaufsgang als Spießrutenlauf. Die Frankfurterin lebt im Autismus-Spektrum. Auf Berührungen reagiert sie hochsensibel, der Maskenstoff auf dem Gesicht ist für sie geradezu unerträglich. Ein Attest hat Monika zwar, doch gegen böse Blicke und auch unfreundliche Abweisungen hilft das leider auch nicht immer. In ihrem Stamm-Einkaufsladen hatte sie sogar extra vorher angerufen, ob sie dort ohne Maske ihre Einkäufe erledigen könne. Doch statt Verständnis erntete sie harsche Kritik und einen verbalen Rauswurf. Zum Einkaufen geht Monika seitdem nur noch so selten wie möglich, zu groß ist die Angst vor Ablehnung. Und freundliche Blicke? „Früher habe ich mal jemanden an der Kasse vorgelassen und er hat gelächelt. Heute weiß ich das nicht mehr. Und Augenkontakt ist für mich ganz schwierig.“

Ich kann mir vorstellen, dass ich genauso Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt wäre, würde ich – selbst wenn ich meinen Behindertenausweis vorzeige – in Läden, Bussen oder Bahnen ohne Maske aufkreuzen. Also quäle ich mich weiter – wie lange noch?

Die Welt in meinem Tempo

Eigentlich sollten es kurze Semesterferien werden, doch wir alle wissen, was im Moment den Alltag nicht nur in Deutschland bestimmt.

Sicher gibt es eine Menge Leute, bei denen die sogenannte „Corona-Krise“ verständlicherweise Angst, Ungeduld oder sogar seelisches und körperliches Leiden hevorruft. Ich gehöre nicht dazu, nein im Gegenteil ich empfinde diese ganze Situation sogar als erholsam.

Während der Vorlesungszeit bin ich dem typischen „Uni-Stress“ (viele Abgaben usw.) ausgesetzt und überstehe das nur, weil ich auf dem Dorf wohne, wo es viel ruhiger und wo gefühlt die Zeit stehen geblieben ist, ein schöner Ausgleich zur hektischen und lauten Großstadt (als solche würde ich Dresden zumindest bezeichnen).

Nun ist uns allen (bis auf den tapferen Leuten, die immer noch da draußen etwa im Gesundheitswesen oder im Einzelhandel arbeiten müssen) eine Zwangspause verordnet worden.
Ich konnte diese Zeit bislang gut nutzen, bin im Garten vorangekommen, fahre weiter Fahrrad und habe pünktlich zu Bach’s 335. Geburtstag mit der Komposition eines Trompetenkonzertes angefangen. Vor allem aber – ich kann weiter meinen gewohnten Tagesablauf durchziehen (außer, dass ich eben nicht in die Uni muss). Ich kann mein eigenes Lebenstempo voll durchziehen, weil sich die sonst so schnelle Welt verlangsamt hat.
Vermeidung von Sozialkontakten? Nun, ich hätte vielleicht zwischendurch mal meine Verwandtschaft besucht, aber sonst hat sich für mich nichts verändert – in den Semesterferien gibt es da für mich nicht viel zu vermeiden. Ich muss einfach nicht ständig jemanden um mich haben.

Ich denke, es gibt bestimmt genug Familien oder Ehen, denen diese Zeit auch ganz gut tut. Sie können mehr Zeit zusammen verbringen, Zeit, die viele aufgrund von Arbeit sonst nicht zusammen haben.

Eine Sache fordert mich aber momentan auch heraus: man kann nicht wirklich im voraus planen, da keiner weiß, was morgen oder nächste Woche sein wird, so schnell ändert sich die Gesamtsituation. Was es da etwas leichter macht, ist die Tatsache, dass es allen so geht und dementsprechend auch sämtliche Termine wegfallen.

Es ist schon eine besondere Zeit, die ich so noch nicht erlebt habe und die sicher kaum jemand von uns vergessen wird, wenn sie vorbei ist.

Zeitdruck

Zeitdruck? Im Moment habe ich den zum Glück nicht. Sonst gehört das aber bei mir zum Uni-Alltag. Gruppenarbeiten verschiedener Module, die an einem bestimmten Tag abgegeben werden müssen, Stunden, die ich auch am Wochenende investieren muss.
Das ruhige Dorfleben statt der hektischen Großstadt macht das Ganze für mich erträglicher.

Doch was läuft bei Zeitdruck eigentlich so im Kopf eines „typischen Autisten“ – wenn es den überhaupt gibt – ab?

Immer wieder hört man, Autisten würden unter Zeitdruck schlechter arbeiten können. Ja, bei mir trifft das auf jeden Fall zu. Zeitdruck setzt mich enorm unter Druck, ich funktioniere sozusagen noch, um die Aufgabe zu erfüllen, die von mir erwartet wird.
Hingegen hilft mir ein bisschen Zeitdruck auch, Dinge gleich zu erledigen und sie nicht erst vor mir her zu schieben.
Aber noch mal einen Schritt zurück: das Thema „Erwartungen anderer“ dürfte eine entscheidende Rolle spielen. Als Asperger-Autist bin ich ein Perfektionist, der versucht, die ihm übertragenen Aufgaben möglichst gewissenhafter als jeder sonst zu erfüllen – etwas verallgemeinert gesprochen.
Dazu gehört, auch rechtzeitig fertig zu werden – unpünktlich zu sein, kommt für mich ohnehin einem Weltuntergang gleich – , es sei denn, dass dies wirklich komplett unrealistisch ist und ich dann auch vor anderen begründen kann, warum ich keine Chance hatte, die Aufgabe in der Zeit zu schaffen.
Muss ich – unerwartet – eine Aufgabe in kurzer Zeit erledigen, reagiere ich schnell gereizt. Ich habe in so einem Fall keine Zeit, mich auf die Aufgabe vorzubereiten und kenne oftmals die Erwartungen des Anderen nicht.
Vorherige Planbarkeit erleichtert mir das Ganze also deutlich. Habe ich eine Aufgabe, die ein Zeitlimit hat, vor mir, muss ich erst mal in Ruhe durchdenken wie ich methodisch vorgehe, wie ich überhaupt anfange und in welcher Art und Weise ich weitermachen kann. Andernfalls ist es mir nicht möglich, einen Zugang zu dieser Aufgabe zu finden, es sei denn, ich habe diese schon öfter erledigt.

Insgesamt setzt mich plötzlicher Zeitdruck allerdings oft so sehr unter Druck, dass ich dadurch völlig blockiert bin, eine Folge daraus kann dann schnell Reizüberflutung sein. Die Energie, die ich bräuchte, um Reize auszublenden wird durch die hohe Auslastung meines Gehirns verschlungen. Das klingt irgendwie alles, wie bei einem Computer, tatsächlich ist das wohl eine gute Vergleichsbasis. Einem Windowsnutzer, dem in der oberen Leiste öfter mal „Keine Rückmeldung“ angezeigt wird, kann das sicher nachvollziehen.

Der eiserne Wille

Semesterferien – nun habe ich endlich wieder Zeit, mich meinem Blog zu widmen.
Ich habe eine Eigenschaft, die sicherlich positiv und negativ zugleich sein kann: einen eisernen Willen. Habe ich mich einmal auf ein Ziel festgelegt, lasse ich mich davon auch nicht mehr ohne weiteres abbringen. Klingt erstrebenswert, nicht wahr? Doch leider bedeutet das auch, dass ich mich nur schwer auf Alternativen einlassen kann.

Nun habe ich ja insbesondere in meiner Schulzeit über zehn Jahre Mobbing hinter mir. Mein Weg Leben sähe im negativen Sinne ganz anders aus, hätte ich nicht einen eisernen Durchhaltewillen gehabt, durch den ich mich in vielerlei Hinsicht bis zum Abitur durchgekämpft habe. Aufzugeben kam für mich nicht in Frage, dann hätte ich nur den Leuten, die versuchten mir zu schaden den Sieg geschenkt. Schließlich war es dann so, dass ich es bis zum Abitur geschafft habe, ein großer Teil derer, die mich gemobbt hatten jedoch nicht. Und obwohl die Schulzeit tiefe Spuren in mir hinterlassen hat, konnte ich standhaft bleiben. Leider mussten wir erst vor kurzem wieder von einer Grundschülerin aus Berlin hören, die sich aufgrund von massivem Mobbing das Leben genommen hat, einer der wenigen Fälle, die es mal in die mediale Öffentlichkeit schafften.

Jeder Mensch kommt mal an den Punkt, wo ein Lebensabschnitt zu Ende geht und sich die Frage stellt: „Was kommt als nächstes?“. Ich war schon öfter an so einem Punkt, sei es nach der Schule, nach der Ausbildung und so weiter. Ich hatte meistens sehr konkrete Vorstellungen und darauf, Alternativen in Betracht zu ziehen, kam ich von selbst nicht. Es waren in der Regel Personen aus meinem Umfeld, die mir die Frage ans Herz legten: „Was ist, wenn es nicht klappt?“
Um zum „Eisernen Willen“ zurück zu kommen, mir fiel und fällt es immer wieder schwer, meinen vorgefassten Plan zu ändern geschweige denn, gänzlich über den Haufen zu werfen. Manchmal war es sinnvoll, dass ich auf Anraten meines Umfeldes alternative Pläne einbezog, andererseits behielt ich aber auch immer wieder Recht damit, stur meinem nächsten Ziel entgegen zu laufen, so bei der Wohnungssuche für das Studium in Dresden. Ich hatte ausschließlich ein Wohnungsangebot herausgesucht, eine 2-Zimmer-Wohnung auf dem Dorf, schön abgelegen. Ich wusste, die will ich haben, damit muss und wird es klappen. Es war mit vielen Hindernissen verbunden, aber es hat geklappt!

Von meinem „Eisernen Willen“ profitiere ich übrigens auch auf meinen Fahrradtouren. Wenn ich mal wieder eine besonders lange Strecke fahre, muss ich die ganzen Kilometer natürlich auch wieder zurück. Ich sage mir dann selbst, dass ich es wieder bis nach Hause schaffen muss und auch werde, alles andere wäre keine Option. Es ist sicher für manchen schon ein Grund zu verzweifeln, wenn man sich, wie ich es einmal erlebt habe, etwa 40 Kilometer von Zuhause entfernt und etwa 500 Meter darüber eine Acht in den Vorderreifen fährt.

So eine Willenskraft verlangt aber zugleich nach anderen Eigenschaften, natürlich ist damit die Zielstrebigkeit verbunden, aber auch Geduld und Gelassenheit. Wenn mal etwas nicht so klappt, wie man sich das so vorgestellt hat, darf man sein Ziel nicht aus dem Blick verlieren.

Das bewusste Unterbewusstsein

Nun finde ich nach einer längeren Pause endlich mal wieder die Zeit, einen Beitrag zu schreiben.
Die Menschen nehmen eine Menge im Unterbewusstsein wahr, was es nicht bis in die bewusste Wahrnehmung schafft. Ich spreche dabei nicht nur von Sinnesreizen, auch man selbst tut viele Dinge, die einem vielleicht gar nicht bewusst sind. Wem fällt zum Beispiel von selbst auf, dass er die Beine übereinander geschlagen hat oder sich gerade am Kopf kratzt.
Es geschieht so vieles automatisch und eben oftmals unbewusst – aber würde ich diesen Beitrag schreiben, wenn es nicht auch anders sein könnte?

Ich würde nicht behaupten, dass ich alles bewusst wahrnehme, aber vieles von dem, was bei anderen Menschen im Unterbewussten liegt, bekomme ich ganz direkt mit.

Zum Beispiel kann ich meistens ziemlich genau sagen, warum ich in einer bestimmten Weise reagiere oder woher bei mir bestimmte Denkmuster kommen. Selbstreflexion gehört somit zu meinen Stärken.

Wenn es bei mir um alltägliche Dinge geht, wie etwa das Schuhe zubinden, bekomme ich das zwar ohne darüber nachzudenken hin, unbewusst laufen solche Handlungen bei mir jedoch nicht ab. Setze ich mich zum Beispiel an meinen Schreibtisch, nehme ich auch ganz bewusst wahr, wenn ich diesen mit den Beinen berühre
Bei jedem Menschen sind die jeweiligen Handlungsabläufe unterschiedlich automatisiert, je nachdem, wie oft man die gleiche Tätigkeit ausführt. Nun ist es bei mir so, dass – wenn meine Routinen durch ein außergewöhnliches Ereignis oder schwere Reizüberflutung aus den Fugen geraten sind – vieles dann eben nicht mehr so automatisch abläuft und ich bei manchen selbstverständlichen Dingen wirklich nachdenken muss. Solche Zeiten gab es bei mir mehrfach und es zeigt einmal mehr, wie sehr bei mir die Dinge in der bewussten Ebene liegen.

Ich stütze mein Kinn auf meine Hand auf und spüre sogleich die Bartstoppeln. Das klingt nach bewusster Achtsamkeitsübung, ist aber für mich völlig normal.

Zweimal neu geboren

In der Bibel heißt es: „Ihr müsst von Neuem geboren werden.“ (Johannes 3,7). Das habe ich sozusagen gleich zweimal erlebt. Das erste Mal bei meiner bewussten Entscheidung für ein Leben mit Gott und das zweite Mal bei meiner Autismus-Diagnose. Bis dahin wusste ich zwar, dass ich irgendwie anders bin, konnte es aber nicht genauer einordnen.
Dann kam die Antwort auf viele meiner Fragen: „Asperger-Syndrom“.

Seidem hat sich mein Leben noch einmal völlig verändert. Ich hatte in drei Jahren in einer christlichen sozialtherapeutischen Einrichtung im sächsischen Pegau die Möglichkeit, mich unter dem Aspekt „Autismus“ völlig neu kennen zu lernen.
In meinem Freiwilligen Sozialen Jahr, das ich zuvor absolviert hatte, lernte ich den Satz „Nur wer sich selber kennt, lernt andere verstehen.“ – und genau so ist es. Ich musste mich selbst erst richtig kennen lernen, bevor ich die Möglichkeit hatte, elementare soziale Kompetenzen überhaupt anwenden zu können.

Dadurch, dass ich mich nun selbst kannte, habe ich auch einen Blick dafür bekommen, wie andere Menschen funktionieren (besonders im Vergleich zu mir). Auch wenn es nach Schubladendenken klingt, ich lernte, im Kopf die Persönlichkeiten der Menschen, denen ich begegnete, in Kategorien einzuteilen, konnte mir so gewissermaßen innerliche Datenbanken darüber anlegen und damit das, was mir an Einfühlungsvermögen und Empathie von Natur aus fehlte, ausgleichen.

Dadurch habe ich im Laufe dieser drei Jahre in Pegau nicht nur meine Mobbingerfahrungen aufarbeiten können, auch Sozialkompetenz habe ich erlangt.
Wenn ein Mensch vor mir steht, kann ich zwar in dem Moment kaum sagen, wie es ihm geht, könnte ihn aber analysieren, wie ein Psychater. So weiß ich auch, wie ich mit bestimmten Persönlichkeiten umzugehen habe.

All dies wäre ohne die Mitarbeiter der Arche Pegau und ohne Gottes Zutun nicht möglich gewesen. Die zweite „Neugeburt“ ist für mich ebenso wichtig geworden, wie die erste.

Klingt das, als wäre ich nun kein Autist mehr? Keineswegs, ich werde für den Rest meines Lebens mit gewissen Einschränkungen zu kämpfen haben, beispielsweise werde ich wohl niemals ein Freund des Telefons sein und auch Reizüberflutung wird immer ein Thema bleiben, aber ich habe aus einer Schwäche eine Stärke gemacht und kann Gott jeden Tag dafür dankbar sein.

Grobmotorisch und ungeschickt – typisch Asperger?

Eine Eigenschaft, die Asperger-Autisten von frühkindlichen Autisten unterscheidet, ist die immer wieder genannte motorische Ungeschicktheit. Aber ist das wirklich typisch Asperger? Nehme ich mich selbst als Beispiel, kann ich darauf nur antworten: Ja, auf jeden Fall!

Ich war schon immer sehr grobmotorisch und dann auch noch Linkshänder. Es versteht sich von selbst, dass ich mit üblichen Rechtshänderscheren schlecht bis gar nicht schneiden kann. Beim Schreiben tut mir sehr schnell die Hand weh und wenn irgendwelche feingliedrigen Arbeiten zu machen sind, bin ich gänzlich ungeeignet (vielleicht sollte ich mich mal als Chirurg versuchen – nein besser nicht!), geht es aber darum, anzupacken und besonders schwere Sachen zu schleppen, bin ich sofort zur Stelle.
Befindet sich irgendwo eine Ecke, die herausragt, ein Kabel auf dem Fußboden oder eine andere Stolperfalle – ich nehme alles mit. Natürlich passiert mir trotzdem nie etwas.

Eigentlich kann man wirklich drüber lachen, aber warum ist das eigentlich so?
Ich nehme an, dass es mit einer eingeschränkten Wahrnehmung des eigenen Körpers im Verhältnis zum umgebenden Raum zu tun hat. Ich merke das, wenn ich um Ecken herumlaufe, gerade, wenn ich dabei durch eine Tür gehe. Ich muss mich oftmals etwas an der Wand entlangtasten, da ich die Ecken und Kanten zwar sehe, aber diese sonst trotzdem mitnehme.

Schwierigkeiten merke ich auch immer wieder in der motorischen Koordinationsfähigkeit. Gerade, wenn ich im Sportunterricht Übungen nachmachen sollte, fiel es mir mitunter schwer, das Gesehene zu reproduzieren.

Interessant finde ich ja, dass sich die motorischen Eigenschaften bei vielen von uns Aspergern fast eins zu eins auf soziale Situationen übertragen lassen. Auch dort reagieren wir meist etwas unbeholfen, da wir mit nonverbalen Signalen ein Problem haben.

Allen Lesern ein frohes neues Jahr!