Eine Frage, die sich sicher schon manch einer gestellt hat: Kann man mit Autismus studieren?
Ich bin schon mal der lebende Beweis, dass das geht. Ende September des vergangenen Jahres habe ich mein Masterstudium der Landschaftsarchitektur abgeschlossen.
Aber ist das nicht zu anstrengend und stressig? Kann man das als Autist eigentlich durchhalten?
Nun, ich kann sicher nicht für alle autistischen Studenten, von denen es auf jeden Fall welche gibt, sprechen, aber ich bezweifle, dass ich das so einfach hätte durchhalten können – noch dazu in Regelstudienzeit – wenn ich in der Großstadt gewohnt hätte. Ich bin extra für das Studium in ein 500-Einwohner-Dorf gezogen, um mich dem Stress, der Hektik, dem Lärm und den Reizen der Großstadt zu entziehen. Ihr glaubt gar nicht, was für einen Unterschied das macht, wenn man aus der lauten und hektischen Großstadt raus aufs Land kommt, in das Dorf, dass eine einzige 30er-Zone ist, wo dank einer Umgehungsstraße der Durchgangsverkehr ferngehalten wird und die schöne Landschaft mit dem Blick nach Tschechien aus dem Wohnzimmerfenster auf einen wartet.
Ich habe mich von vornherein recht genau an den empfohlenen Stunden- und Semesterablaufplan gehalten. Ich hätte ja auch in einer ganz anderen Reihenfolge studieren können. So – und weil ich mir von vornherein in den Kopf gesetzt habe, in Regelstudienzeit fertig zu werden, weil ich ja auch nicht mehr der jüngste bin und nun bald mal ins Berufsleben starten will – konnte ich aber Probleme mit Modulüberschneidungen vermeiden und hatte so von Semester zu Semester (in vielen Fällen, aber nicht immer) logisch aufeinander aufbauende Seminare und Vorlesungen.
Und wie war das mit Corona?
Ja, irgendwann kam Corona und damit das „digitale Semester“. Man könnte denken, dass eine solch gravierende Plan- und Routinenänderung einen Autisten völlig aus der Bahn wirft.
Ich kenne auch eine Autistin, bei der das der Fall war. Sie hatte während Corona angefangen zu studieren und kam damit ganz und gar nicht klar. Bereits im ersten Semester musste sie ihr Studium abbrechen.
Für mich war das hingegen einfacher. Ich hatte, als die Kontaktbeschränkungen losgingen, bereits drei Semester studiert und mich schon an das Uni-Leben gewöhnt. Das Verbot von Präsenzveranstaltungen in der Anfangszeit bedeutete für mich, dass ich nicht erst nach Dresden fahren musste, sondern alles von Zuhause vom Schreibtisch aus machen konnte. Dadurch, dass ich mir täglich selber Mittagessen gemacht habe, statt in die Mensa zu fahren, konnte ich nicht nur Geld, sondern auch Zeit sparen.
Das ist schon praktisch wenn man während einer Vorlesung kochen und Mittag essen kann.
Nun war mein Studiengang sehr arbeitsintensiv. Insbesondere im Master gab es dann in mehreren Modulen pro Halbjahr große Semesterprojekte. Da mein Gehirn recht langsam arbeitet, blieb mir nichts anderes übrig, als gleich zu Beginn des Semesters, kaum, dass die Aufgabe gestellt ist, sofort so viele Informationen zu sammeln wie möglich und schon viel vorzuarbeiten, um am Ende mit meinen Kommilitonen mithalten und rechtzeitig fertig werden zu können. Die Zeit war im Studium stets mein größter Feind, aber zum Glück konnte ich immer auf Gottes Unterstützung hoffen.
Schließlich habe ich es nach fünf Jahren Regelstudienzeit und einem sehr arbeitsintensiven und stressigen letzten Semester geschafft, mit meiner Masterarbeit rechtzeitig fertig zu werden.
Es war für mich eine Notwendigkeit, mir im Laufe der Jahre ein Gespür anzueignen, wie viel Stress und Zeitdruck ich aushalten kann und wie viel auf einmal ich mir zumuten kann. Ansonsten hätte es nicht nur mit der Masterarbeit, sondern mit dem ganzen Studium nicht funktioniert.
Also an alle autistischen Studenten da draußen: Mein Rat an euch: versucht ein Gespür dafür zu finden, wie viel ihr pro Tag schaffen müsst um rechtzeitig fertig zu werden, versucht nicht auf Biegen und Brechen noch mehr zu schaffen, gönnt euch darüber hinaus Entspannung und verfolgt eure Routinen weiter.
Ich habe während des ganzen Studium weiter täglich Trompete (oder Waldhorn) und Geige geübt, täglich eine halbe Stunde pro Instrument. Das ist einfach meine Routine, die ich mir auch vom Zeitdruck und dem Stress des Studiums nicht habe nehmen lassen. Ohne meine täglichen Routinen hätte ich es wohl auch nicht geschafft.
Haben es Autisten im Studium also prinzipiell schwerer? Ich würde sagen, ja. So ein Campus kann schon sehr unübersichtlich sein, viele neue Leute, die man erst kennenlernen muss, ein Stundenplan kann sich schnell mal ändern und dann kommen noch Stress und Zeitdruck hinzu, von der akustischen Reizüberflutung in der Mensa ganz zu schweigen. Alles in allem eine ziemlich ungünstige Mischung für die meisten Autisten. Aber wenn man sich nicht von seinen täglichen Routinen abbringen lässt, ist ein Studium auf jeden Fall machbar.
Doch was, wenn das Studium, an dessen Abläufe man sich inzwischen gewöhnt hat, dann vorbei ist? Nun das ist ein Kapitel für sich. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die Jobsuche sich schwieriger gestalten und länger hinziehen kann, als man denkt.
Ich habe mein Studium Ende September 2023 abgeschlossen und habe immer noch keine Arbeit gefunden.
Einerseits ist das Problem, dass es manchmal viele Wochen oder sogar Monate dauert, bis man etwas von seiner Bewerbung hört. Dann habe ich aber auch in einem Vertiefungsbereich studiert, in dem es nur wenige Stellen gibt.
Ein Studium abgeschlossen zu haben bedeutet also noch nicht gleich, dass einem die Welt offen steht.